Saturday 6 December 2008

' Der schwierige dritte Abend' von Dagmar Reichert

Sketch of Peter Vittali, by Chris Regn

Der dritte Abend des Performance Saga Festivals war schwierig für mich. Dabei versuche ich noch herauszubekommen, ob es an mir lag. War ich einfach übersättigt und müde nach den ersten beiden Tagen? Oder geschieht das typischerweise bei Festivals, wie bei einem Aufenthalt am Meer und der dritte Tag ist meist ein harziger Tag?

Zu Beginn von Peter Vittalis Eingangsperformance („The second person“) war ich noch voll dabei. Er führte ein fiktives Telephongespräch mit Martha Rosler, der grossen Abwesenden dieses Abends – sie hatte ihre Teilnahme relativ kurzfristig absagen müssen und sendete ein Video als „Ersatz“. Mit dem Gespräch vermittelte Vittali den Ausgangspunkt seiner Performance, einen altes Interviewstatement von Rosler, in dem sie meinte, damals, in der Zeit von Vietnam, hätten sie und ihre Freunde noch geglaubt die Welt in eine bestimmte Richtung verändern zu können. Inzwischen aber hätten andere diese Schritte wieder rückgängig gemacht. Die Gesprächsfiktion erlaubte Vittali auch, seine Performance mit Hintergrund¬informationen zum Festival zu kontextualisieren – viel Humorvolles gab’s da – und auf elegante Weise eine englischsprachige Zusammenfassung dessen zu liefern, was er in der Folge auf deutsch vorhatte. Als er dies dann aber entfaltete wurde mir die Zeit bald lang. Mit einigen schönen Momenten konnte er mich noch packen: er sprach die Zeit vor der letzten Invasion der USA im Irak an und ich erinnerte mich an mein damaliges Ohnmachtsgefühl, an die folgende Gewalt und das Durchtrennen jeder Verständigung, als Vitali mit einem sausenden Bunsenbrenner auf der dunklen Bühne Flugbahnen zog.
Auch er hatte eine Mission, nur wurde sie mir nicht wirklich deutlich. Lag es daran, dass er sie tatsächlich zu vage beliess und seinen Verweisen und Assoziations¬möglichkeiten die Dichte fehlte? Oder lag es an mir, hatte ich sie einfach nicht begriffen? Vielleicht sollte, was ich als vage empfand, einfach poetisch sein? Aber erfordert Poesie nicht äusserste Präzision um die „Unbestimmtheit richtig und unverfälscht zum Ausdruck zu bringen"?

Heute Morgen konnte ich mit Peter Vittali ein gutes Gespräch darüber führen: Er sei noch daran seine Erfahrungen mit der Aufführung für sich zu ordnen. Lange schon denke er darüber nach was es für ihn bedeuten könnte in seiner Kunst gesellschaftliche Fragen anzusprechen, die sonst meist politisch adressiert werden. Martha Rosler und ihre Generation hätten dabei scheinbar noch an die Kraft von Gesinnungsgemeinschaften geglaubt, an den Zusammenschluss von Einzelnen und ihre Demonstration auf der Strasse. Heute sei es in seinen Augen nicht mehr die Strasse, auf der Veränderungen zu erzielen wären. Kommunikationsverbindungen und virtuelle Datenstrassen bildeten den eigentlich entscheidenden Raum. In diesem Raum gelte es nun, Herrschaftsgebiete und Verknüpfungen aufzuzeigen. Dafür brauche es aber weniger Gesinnungsgemeinschaften als einzelne versierte Informatiker. Auch ein einzelner Mensch könnte hier viel bewirken. – Wie sich ja auch bei der Analyse folgenreicher Kommunikationsverbindungen (Vittali gab das Beispiel der Aufdeckung der sogenannten dodgy dossiers über die vermeintliche Waffenproduktion des Irak) herausgestellt hätte, dass es ganz wenige Einzelne waren, die hier die historischen Weichen stellten.
Peter Vittali ist nicht nur Performancekünstler, sondern auch Ingenieur und Spezialist für Telekommunikation. Wie wird sich vor diesem Kompetenzhintergrund seine Forschung an dieser Performance weiter entwickeln?

Aber zurück zu gestern, zum schwierigen Abend, wie ich ihn empfand. Hier folgte das Video, das Martha Rosler in letzter Minute elektronisch – sie glaubt inzwischen also auch an die Macht der Datenstrassen! – übermittelt hatte: Eine Art Wiederaufführung ihrer berühmten, wegweisenden Videomonitorperformance „Semiotics of the Kitchen“ von 1974/5 in der Londoner Whitechapel Gallery im Jahr 2003. Ein Generationenabstand zwischen Original und Wiederaufführung, ein Versuch den generation gap zu überbrücken: Vermutlich deshalb hatte Martha Rosler gerade dieses Video gesandt.
Hier sah man junge Frauen bei aussergewöhnlicher Handhabung von Küchenutensilien, „meat tenderisers“, d.h. Fleischklopfer, die gar nicht tender aufs Küchenpult donnerten oder Eiszerkleinerer, die sich nach zwei bis drei Ausholbewegungen in die Tischplatte bohrten. Ich fühlte eine gewisse Entsprechung zwischen der die lustvollen Aggression im Bild und meinem eigenen Gefühl angesichts der Wiederaufführung von Martha Rosler’s Performance, die hier im Video dokumentiert war. Es war, als leitete sie ein Mädchenpensionat dazu an, ihre alte Performance einfach zu wiederholen, etwas zu variieren vielleicht, ihre Absurdität in der Vielzahl der Performerinnen noch zu steigern... Wollte sie zeigen, dass junge Frauen auch 2003 noch mit frustrationsgetriebener Energie aus Küchen ausbrechen? Oder – es gab ja keine einengende Monitorbox mehr – sollten sie aus dem whitespace der Whitechapel ausbrechen? Zum Beifall des Vernissagenpublikums? Hole ich mit solchen Fragen auch mit dem Eiszerkleinerer aus? War ich gestern Abend nicht nur einfach müde? Doch an den ersten beiden Abenden des Performance Saga Festivals hatte ich reichere Verknüpfungen des generation gap gesehen als jene in diesem Video.

Die abschliessende Performance von Otmar Wagner und Florian Feigl, die seit 2001 ihre „Wagner-Feigl-Forschung“ zum Ziel einer „Enzyklopädie der Performancekunst“ betreiben, verwies auf einen wieder anderen Umgang mit Traditionen und mit der Übergabe von einer Generation auf die andere. Losgelöst von jeder Performer¬persönlickeit, individuellem Charakter und Selbstausdruck analysieren, sammeln und katalogisieren Wagner und Feigl die Handlungen und Materialien, die in der Geschichte der Performancekunst anfallen. Ganz ernsthaft tun sie so als ob. Dabei treiben sie eine Systematik mit Kategorien und Unterkategorien von Aleph zu Alpha, zu römisch und arabisch Eins – je mit Untergruppen und Unterparagraphen – ad absurdum.
Ich beobachtete mich beim Zusehen, schwankend zwischen einem Interesse für die gezeigten historischen Beispiele und einer Verweigerung aus dem Gefühl, hier gerade clever verarscht zu werden. Die Absurdität positivistischer Analytik ist altbekannt: woher also mein Unbehagen? Liegt es daran, dass ihr „Tun als ob“, letztlich doch reales Tun ist? Liegt es daran, dass in dieser vermeintlichen Forschung die lebendige Intensität tatsächlicher Performances getötet wird, Performances auf kleine Nadeln gespiesst und in eine systematische Schmetterlingssammlung eingereiht werden? Und dass es dabei beinahe zynisch wird, wenn Wagner und Feigl auf der Bühne auch noch die Zertrümmerung einer Gitarre oder eine Brotverschmierung zitieren. Ist es nicht falsches, eben zynisches Zitieren von ursprünglich Gemeintem, seine Verwandlung in gestische Modulbausteine? Aber andererseits, generiert solches Vorgehen nicht auch neue Freiheiten gegenüber dem Kanon der Performancegeschichte? Nur für den Fall dass dieser Kanon von heutigen KünstlerInnen als einengend empfunden würde.
Viele Fragen beim Sehen der Performances dieses dritten Abends! Vielleicht gute Fragen. Ein harziger Abend könnte ja auch ein fruchtbarer Abend sein. Aber genug für heute!

2 comments:

Anonymous said...

Ein schwieriger Abend?
Drei Mal ging es um Geschichte. In der Performance von Peter Vitali um die Konfrontation von individueller Geschichte mit Weltgeschichte, angelegt als Experiment. Wie konjugiere ich ein Wort wie "change", wenn ich die "Zweite Person" offen lasse?
Im fiktiven Dialog mit Martha Rosler wird zwar die "Zweite Person" besetzt. Durch Martha, die angeblich am Apparat ist. Folge für die Deklination: Peter und Martha bilden ein "we" . Und wir - das Publikum - werden zu "them" (aus der Sicht von Peter und Martha). Und werden dadurch ins "we" gezwungen (das wir vielleicht gar nicht sein wollen ). Eine Geste zum Fenster hinaus: Auch dort gibt es ein "them". Und dieses "them " macht "uns" - Peter und Martha inklusive - zum "we".
Soviel zum Auftakt. Zeit an die Arbeit zu gehen. Goodbye Martha. Good bye "Zweite Person".
"We changed the world significantly...."
Wie konjugiert man "change the world" ?
"I change the world", indem ich z.B. einen Protestbrief schreibe, mit welchem ich der Behörde gleichzeitig einen Veränderungsvorschlag unterbreite. Die behördliche Antwort ist geradezu schlitzohrig: Es brauche, sagt die Behörde, mindestens zwei protestierende Personen, sonst werde die Beschwerde nicht anerkannt.
Du bist allein mit deinem Protest. Dir fehlt die zweite Person. Für einen behördlich anerkannten Protest braucht es ein minimales "wir": "You and me".
"We changed the world significantly for about twenty years..."
Man müsste jetzt eigentlich wieder Martha anrufen: Was war das für ein "we" während zwanzig Jahren, wie ist es zustande gekommen? Und warum ist es schwach geworden? Warum können sie /they "change it back?"
Oder gab es dieses "we" gar nie (dann gibt es auch "they" nicht). Was heisst das: "We significantly changed the world"?
Significantly:
Sign
if
can
t
l
y

Why sign?
What if?
who can?
who can't
ly? (lie?)
Wenn dieses "we" eine Lüge (oder, milder, eine Täuschung) wäre? Was hätten wir verändert über zwanzig Jahre?
Vielleicht "signs"?
Significantly changed. Die Zeichen, und ihre Deutung hat das "we" tatsächlich verändert. Aber die Welt?
Du fährst im Tram von Basel nach Zürich, und die Welt hat sich verändert, mit oder ohne dein Zutun.
(Ein Satz klingt nach, den Peter Vitali in seiner Performance aus einem Brief zitiert hat: "Ich glaube, dass es in der Kunst nur das Gegenüber gibt, das man als Kuenstler herstellt).


Geschichte auch in der zweiten Performance: Die Video-Dokumentation eines Live- Remakes von Martha Roslers Video "Semiotics of the kitchen" von 1974. Wie wirkt diese Semiotik dreissig Jahre später ? Significantly changed?
Video 1974: schwarzweiss. Die Aufzeichnung der Live-Performance: farbig.
Video 1974: 1 Frau (I)
Live Performance: 27 Frauen (we).
Ein Vergleich drängt sich auf: Was ist stärker, intensiver?
Mehr nicht dazu. Geschichte. Geschichte, die durch Koumente geschrieben wird.
Bloss noch diese Frage: Welche anderen - nicht dokumentierbaren - Wege hat die Semiotik der Küche vielleicht auch noch genommen? (Versteckte Geschichte).

Dritte Performance: Wagner-Feigl-Forschung.
Zwei Totengräber bei der Arbeit. Schauen in die Särge und parodieren die Gesten und Gesichter der Toten.
Geschichte. Dokumente. Klassifikation.
Eine Hochschullektion.
Schicksal jeder Bewegung, die "die Welt verändert", die "Geschichte macht": Sie wird zum didaktischen Stoff.
(Nicht sichtbar: Die versteckte Geschichte, die vom Ich zum Du).
Der Zug fährt. Wer wagt es, unterwegs auszusteigen?

Balts, 7. 12. 08

Anonymous said...

Bemerkung: Der vorige Kommentar "Ein schwieriger Abend" wurde mir von Balths geschickt, der ihn wegen Computerproblemen nicht selbst uploaden konnte. Ich habe den Kommentar unter meinem Namen mit Balths Bewilligung dann in den Blog gestellt.
Peter