Thursday 18 December 2008

Wunderblock

Lieber Peter Vittali

wollte dir gleich schreiben, dachte ja auch deinen Blogg (wird der so geschrieben? Oder wie der Wunderblock von Freud?) aufzumotzen mit Verstehenshilfen und Prothesen und so, aber dafür müsste das ja alles viel schneller gehen und dann wäre all das schöne Denken und Überlegen und Korrespondieren mit wer weiss was, was noch anklingt und nachklingt von deiner schönen Performance, die mir ein bisschen zu kurz war oder der ich noch eine ganze schöne Weile hätte zuhören und zusehen wollen, schon wieder weg (in der Change-Maschine), was ja gerade erst anfing interessant zu werden im Nachdenken und Weiterdenken und Entfalten oder auch Einfalten.

Ich habe da so drei vom Theater, die im Sommer 82 in der Küche der einen, Natascha, Schulen gründen. Unter anderem die Jacques Derrida Schule des Sprechens mit den Gespenstern. (Es gibt auch die Virginia Woolf School of Voice Hearing oder die Jean Luc Godard Schule der vagen Ideen mit klaren Bildern.)Wir nahmen uns vor, jeden Tag einen Satz von Derrida zu lesen und noch einen zweiten. Heute lasen wir: "Er (der Intellektuelle von morgen) müsste es lernen, zu leben, aber nicht, indem er lernt, mit den Gespenstern Konversation zu machen, sondern indem er lernt, sich mit ihm, mit ihr zu unterhalten, ihm das Wort zu lassen oder es ihm zurückzugeben, und sei es auch in sich selbst, im anderen, dem anderen in sich: sie sind immer da, die Gespenster, selbst wenn sie nicht existieren, selbst wenn sie nicht mehr sind, selbst wenn sie noch nicht sind." Der andere Satz ging so: "Das Erbe ist niemals ein Gegebenes, es ist immer eine Aufgabe." Zusammen waren der Satz und noch ein zweiter Satz dann mehr als ein Satz und mehr oder weniger als zwei. Warum? Das wollten wir verstehen. Vielleicht hatte das damit zu tun, dass es keinen Zweiten gibt, nur einen anderen. Das ist das gefährliche an der Demokratie und ihren siegenden Mehrheiten aus lauter Zweiten, denn sie kennen nicht den Einen, den Einzelnen, der zählt nicht, solange er nicht mehr ist als einer und mindestens zu zweit sein muss. Aber einer kann nicht zwei sein, nur anders und mehr als einer und weniger oder auch mehr als zwei. Wenn Rimbaud sagt: Ich ist ein anderer – darauf haben sich viele Künstler lange Zeit beziehen können, aber es kann sein, dass das heute eben nicht geht, wegen der Mehrheits- und Spassfähigkeit dessen, was uns als Kunst angetragen wird, – so heisst das nichts anderes als dass es keinen zweiten gibt, auch kein zweites Ich, höchstens ein anderes, ein anderes in mir, im Ich, Ich bin dieses andere, Gespenst, Geist, Erbe, Wort, Sprache.

Aber das ist nur erst der Anfang von den Gedanken, die sich im Ansehen deiner Performance stellten und sich mir in den Kopf setzten, wo sie jetzt herumlungern und ich versuche sie zu ordnen und aufzuräumen als wären sie Geschichten, die für die erzählt worden sind, für die nichts zählt, wie Godard von seinen Geschichten sagt. Das sind all jene, die Ich ist ein anderes sind.

Lieber Peter, vielen Dank für die Ausflüge vom letzten Freitag und was wir mit den Müttern machen, die uns vorausgingen, deren Erben wir sind, na ja, da müssen wir noch ein bisschen nachdenken oder wie Bob Dylan singen „It's all right, Ma (I'm only bleeding)“.

Schöne Zeit in den Bergen

Friederike Kretzen

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